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Die Wahrheit über Taranis
Als es
langsam Abend wurde, fanden sich die Wächter im Hof der großen
Magier-Festung ein und ließen sich an den bereits brennenden
Lagerfeuern nieder. Sie brieten Fleisch über dem Feuer, tranken
Bier, spielten Karten und tauschten sich über die Ereignisse des
Tages aus. Ein Knabe trat neugierig an das Lagerfeuer heran, als
würde er dazu gehören.
„Na
Junge, du schon wieder?“, fragte ein junger Mann lachend. „Willst
du wieder alte Geschichten über Taranis von noch älteren Männern
hören?“
„Ach,
halt doch dein Maul!“ schimpfte eine der älteren Wachen.
„Is’
schon okay, Junge. Hör nich’
auf die beiden Streithähne und setz dich zu uns“, rief ein anderer
Mann erheitert und drückte dem Jungen eine Schale mit
Gürteltierauflauf in die Hand. „Ich
schätze, du wills’
eh nich’
hören, was heut’
auf unserer Patrouille passiert ist,
oder?“, fragte er und rieb sich das unrasierte Kinn. „Ich nehm’s
dir nicht übel. Weißt du auch warum?“
Der Knabe
setzte sich ans Feuer und sah erstaunt von seinem Essen auf. „Nein,
warum?“
„Weil
nämlich gar nix passiert ist auf Patrouille. Stinklangweilig
war’s!“,
lachte er laut und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierkrug.
Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht des Jungen breit.
„Kein
Grund, so ein Gesicht zu machen, junger Mann. Dir gehen die Fragen
doch nie aus – was für eine Geschichte willst du stattdessen
hören?“, fragte eine Wache.
Der Junge
überlegte kurz und fragte dann „Warum wird Taranis auch
,Donnerinsel‘
genannt?“
„Das,
mein Lieber, ist eine vortreffliche Frage! Nun, wie dir vielleicht
schon aufgefallen ist, werden die Küsten von Taranis immer wieder
von mysteriösen Stürmen und Unwettern heimgesucht, die niemand
erklären kann. Das häufigste Phänomen sind mächtige
Gewitterstürme und furchteinflößende Blitze. Unsere Herren Magier
graben hier nicht nur nach Kristallen, weißt du? Sie erforschen auch
die Insel und diese Wetter-Anomalien. Ich schätze, sie gaben Taranis
den Namen ,Donnerinsel‘
wegen der immerwährenden Gewitter.“
Eine andere
Wache ließ sich am Feuer nieder und brachte eine Reihe frisch
gefüllter Krüge. Das sorgte für einen kurzen Jubelausbruch. Als
alle Kehlen befeuchtet waren, ergriff wieder jemand das Wort.
„Unwetter?
Phänomene? Alles nur Quatsch wenn du mich fragst. In den Wäldern
von Taranis lebten früher mal Eingeborene. Ein ganz finsteres Volk
war das, sage ich dir. Man hat Altäre und Opferstätten
gefunden.“
„Und Voodoo-Puppen!“, steuerte jemand bei.
„Und Voodoo-Puppen!“, steuerte jemand bei.
„Genau.
Und wenn du mich fragst, sind die schuld. Die haben das Wetter
verhext oder diese Insel. Wer weiß das schon? Den Namen
,Donnerinsel‘
hat Taranis auf jeden Fall verdient. Diese Gewitterstürme sind ganz
bestimmt ihr Werk!“
„Jaja,
diese Eingeborenen mag es mal gegeben haben, aber wir haben seit
Jahren keine mehr gesehen!“, warf jemand ein. „Ich weiß, warum
man Taranis auch ,Donnerinsel‘
nennt. Diese Kristalle im Boden von Taranis beherrbergen eine Menge
Magie. So viel, dass manche von ihnen sehr instabil sind. Bei
unsachgemäßem Gebrauch oder Transport fliegt einem so ein Kristall
schon mal um die Ohren! Diese Goblins in den Minen sind aber auch
derartig ungeschickt. Jedenfalls sind diese verdammten Steine hier
für eine Menge Ärger verantwortlich. Und wenn sie mal wieder
explodieren, sind sie verflucht laut. Frag ihn!“, sagte er und
zeigte mit einer Hähnchenkeule auf eine andere Wache. „Er kann auf
dem rechten Ohr kaum noch hören. Wenn ein Name zu dieser
unheilvollen Insel passt, dann ,Donnerinsel‘!“
Es war
dunkel geworden im Lager und Fackeln erhellten die Wege. Für
reichlich Alkoholnachschub war gesorgt. Inzwischen war ein ganzes
Fass herbeigeschafft worden und die Stimmung wurde ausgelassener.
„Pass
auf. ’s
is’
alles totaler Blödsinn. Soll ich dir sagen, warum Taranis auch
,Donnerinsel‘
genannt wird?“, fragte der unrasierte Kerl und rieb sich wieder das
Kinn. Der Alkohol verfehlte seine Wirkung nicht und er nuschelte
inzwischen stärker als zuvor. „Früher, also lange lange bevor
Taranis besiedelt wurde – is’
wirklich verdammt lang’
her – haben sich hier Piraten niedergelassen. Glaub’s
oder nich’!
’s
war Grund un’
Boden, der niemandem gehörte. Es gab keine Gesetze und somit war’s
ein Paradies für Piraten. Sie nutzten die Insel als Lager für ihre
Beute, vergruben Schätze, trieben Handel – ’s
war ’türlich
nur ein Schwarzmarkt, wo sie ihr geklautes Zeug verscherbelten. Und
jetzt kommt der wichtigste Teil!“ Er musste kurz hicksen und nahm
trotzdem einen weiteren kräftigen Schluck aus seinem Krug. „Sie
bauten hier mehrere Schnapsbrennereien und brannten ihren eigenen
Schnaps, bekannt als ,Donnerbräu‘.
Der is’
weit über die Grenzen von Taranis bekannt und sorgte wohl für den
Namen ,Donnerinsel‘.
Den hab’n
sie dann einfach übernommen.“
Je später
es wurde und je ausgiebiger die Wachen ihren Feierabend begossen,
desto verrückter wurden die Geschichten. Doch das war dem Knaben
egal. Er sog alles mit vor Neugier weit aufgerissenen Augen in sich
auf. Er liebte alte Geschichten, auch wenn er nicht zu sagen
vermochte, was der Wahrheit entsprach und was vielleicht nur
Seemannsgarn war.
„Ich
werde euch erzählen, was sich vor vielen Jahren wirklich auf Taranis
zugetragen hat.“, begann einer der ältesten Männer am Feuer. Er
hatte eine Pfeife angezündet und sie tanzte lustig in seinem
Mundwinkel während er sprach. „Vor vielen Jahren, da waren wir
alle noch gar nicht geboren, da lebten bereits Menschen auf Taranis.
Zu jener Zeit gab es hier auch einen mächtigen Drachen. Der Drache
mied die Siedlungen der Menschen und die Menschen fürchteten den
Drachen. Kaum jemand hat ihn je zu Gesicht bekommen. Dann, eines
Tages, griffen die Titanen die Insel an. Die Menschen waren
verzweifelt und die wenigen Soldaten, die sie aufbringen konnten,
waren schnell besiegt. Doch in dem Moment, als alle Hoffnung
schwand...“, er machte eine dramatische Pause, „erhob sich der
mächtige Drache hoch über der Insel und stürzte sich in den Kampf.
Die Schlacht dauerte mehrere Tage und der Drache konnte die Titanen
nicht besiegen, ihnen am Ende aber so sehr zusetzen, dass sie sich
zurückzogen und nicht wieder gesehen wurden. Der Drache erlitt
schwere Verletzungen im Kampf und starb an einem der nächsten Tage.
Vermutlich hat er nicht einmal die Menschen verteidigt, sondern nur
die Insel auf der er lebte, aber an dem Tag hat er viele Leben
gerettet. Trotzdem waren die Menschen unheimlich dankbar und
verehrten den Drachen als einen Helden. Noch heute kann man seine
lauten und donnernden Schreie manchmal in den Felsen dieser Insel
hören. Um ihn zu ehren, gaben die Menschen Taranis den Namen
,Donnerinsel‘.“
Stille.
Stille am Lagerfeuer. Entweder dachten die Männer darüber nach,
welche der gehörten Geschichten nun wirklich der Wahrheit entsprach,
oder sie hatten keinen Zweifel daran, dass ihre eigene Theorie die
einzig richtige war. Manchen von ihnen hatte die Drachengeschichte
aber tatsächlich ein Lächeln und hier und da sogar eine kleine
Träne aufs Gesicht gezaubert. Die Geschichte mit dem Drachen hatte
dem Knaben mit Abstand am besten gefallen und war bei weitem nicht so
gruselig wie die von explodierenden Kristallen oder Eingeborenen mit
Voodoo-Puppen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er die
wütende Stimme seiner Mutter hörte, die hinter ihm stand.
„Hier
steckst du also, junger Mann“, sagte sie zornig und stemmte die
Hände in die Hüften. „Ich habe dich schon überall gesucht!“
Sie musste allerdings einen Teil des Gesprächs mitbekommen haben,
denn sie fügte in einem etwas versöhnlicheren Tonfall hinzu: „Es
herrscht gleich ein furchtbares Donnerwetter, wenn du nicht bald im
Bett bist!“
Die Männer
grölten vor Lachen. Er verabschiedete sich und lief, begleitete von
seiner Mutter, zu einem der Wohnhäuser. Er würde in dieser Nacht
bestimmt gut schlafen und einen ganz besonderen Traum haben -
vielleicht sogar einen aufregenden von Piraten oder Drachen.
Den ganzen
Abend lang hatte niemand die beiden Gestalten bemerkt, die verborgen
im Schatten, an einer Hauswand lehnten. Der Jüngere von den beiden
schüttelte ungläubig den Kopf und lachte: „Die haben keinen
blassen Schimmer, was damals wirklich passiert ist, oder?“
„Pah, sie
werden die Wahrheit über Taranis noch früh genug erfahren!“,
antworte Mendoza schroff.
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